Das Ende der Wahrheit – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (2024)

Arte, 19.04.2024, 00:10 Uhr - Wiederholung

Zehrfeld, Fehling, Prahl, Michelsen, Traue, Philipp Leinemann. Auge um Auge

Tilmann P. Gangloff
Schon die Geschichte des Polit-Thrillers „Das Ende der Wahrheit“ (ZDF / Walker+Worm), mit dem Philipp Leinemann nahtlos an die Qualität seines Kinodebüts „Wir waren Könige“ anknüpft, ist ungewöhnlich: Nach der Ermordung seiner Freundin, einer investigativen Journalistin, kommt ein BND-Mitarbeiter einem Korruptionskomplott in den eigenen Reihen auf die Spur. Auch handwerklich bewegt sich das Werk auf höchstem Niveau; die Actionszenen sind buchstäblich großes Kino. Endgültig zu einem Ausnahmefilm wird der Thriller durch das Ensemble, zumal Leinemann auch für winzige Rollen große Namen gewinnen konnte. Viel besser kann man einen Film nicht inszenieren.

Das Ende der Wahrheit – Kritik zum Film bei Tittelbach.tv (1)

Foto: ZDF / Bernd Schuller

Die perfekte Besetzung als Politthriller-Held: Ronald Zehrfeld als BND-Beamter

Mit dem Kinofilm „Wir waren Könige“ (2014) hat Philipp Leinemann den besten Polizeifilm seit „Die Sieger“ (1994) von Dominik Graf gedreht. Anschließend folgten zwei TV-Krimis sowie die Tragikomödie „Willkommen bei den Honeckers“ (2017); die waren zwar sehenswert, hatten aber nicht mehr die herausragende Klasse seines Kinodebüts. Erst mit „Das Ende der Wahrheit“ (2019), nun wieder nach eigenem Drehbuch entstanden, konnte er an diese Qualität anknüpfen. Da das deutsche Kinopublikum aus einheimischer Produktion mittlerweile nur noch Komödien goutiert, war die Resonanz mit nicht mal 40.000 Besuchern allerdings sehr überschaubar. Das ist ausgesprochen bedauerlich, zumal das Genre des Politthrillers hierzulande abgesehen von der „Dengler“-Reihe im ZDF (mit Ronald Zehrfeld, nach den Romanen von Wolfgang Schorlau) ohnehin ein Schattendasein fristet. Immerhin waren die Mainzer auch an Leinemanns zweiter Kinoarbeit beteiligt: Der Film ist wie schon „Wir waren Könige“ eine Koproduktion der Redaktion Das kleine Fernsehspiel.

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Foto: ZDF / Bernd Schuller

Und der Geheimdienst schweigt. Eine Behörde gerät unter Druck. Zirner & Prahl

Hauptfigur der Geschichte ist ein Beamter (Zehrfeld), der gegen die eigene Behörde ermittelt. Der Film beginnt idyllisch, und das ist im Thriller immer ein böses Omen: Martin Behrens, Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, verbringt einen romantischen Morgen im Seehaus seiner Freundin. Aurice (Antje Traue) ist investigative Journalistin. Das Paar hält Beruf und Privatleben strikt voneinander getrennt, und das ist auch gut so, denn vermutlich hätte sie wenig Verständnis für seine Arbeit: Er wirbt Flüchtlinge aus Krisenregionen mit der Aussicht auf Asyl als Informanten an; wer nicht kooperiert, wird erpresst. Haben die Menschen ihren Teil der Abmachung erledigt, werden sie wieder abgeschoben. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von BND und Verfassungsschutz will Aurice wissen, ob es stimme, dass der BND die Amerikaner mit Zieldaten für Drohnenangriffe versorge. Tatsächlich ist auf diese Weise und dank Behrens’ Informationen gerade erst einer der meistgesuchten Milizenführer im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und dem (fiktiven) Nachbarstaat Zahiristan getötet worden. Die Journalistin sammelt Material für einen Artikel über illegale Waffengeschäfte und bittet Behrens um Hilfe, doch das würde ihn seinen Job kosten; kurz drauf wird sie bei einem Terroranschlag ermordet. Ein Bekennervideo lässt das Attentat als Rache für die Ermordung des Milizführers erscheinen, aber Behrens erkennt die typische Handschrift einer Geheimdienstoperation; das eigentliche Ziel war Aurice. Nun beginnt auch der BND-Agent, unbequeme Fragen zu stellen, und stößt auf ein Netzwerk aus mächtigen Gegenspielern.

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Foto: ZDF / Bernd Schuller

Der BND-Mann (Ronald Zehrfeld) und seine Freundin (Antje Traue). Die Journalistin sammelt Material für einen Artikel über illegale Waffengeschäfte und bittet um Hilfe.

Mit dem Thriller „Das Ende der Wahrheit“ legt Philipp Leinemann nun einen Film vor, der in der Sphäre der Geheimdienste angesiedelt ist. Und „Das Ende der Wahrheit“ ist nicht nur komplex gebaut (Drehbuch ebenfalls Leinemann), sondern weist auch Kinobilder auf. (…) Der illusionslose, sogar analytische Blick auf regierungsbehördliche Strukturen, Usancen und Operationen in eher fahl beleuchteten denn unnötig symbolisch verschatteten Räumen ist ebenso das große Plus von „Das Ende der Wahrheit“ wie die integre Inszenierung: Die Würde der Opfer bleibt gewahrt; die Täter werden indes hart ins Bild gerückt. (epd film)

Seine offensichtliche Faszination für schweres militärisches Gerät rechtfertigt der Film mithilfe eines semiphilosophischen Überbaus, behaupteter gesellschaftlicher Relevanz und aufklärerischer Absichten. (…) „Das Ende der Wahrheit“ hinterlässt aber vor allem eine depressive Grundstimmung, weil er daran erinnert, dass ein würdiger Nachfolger für Dominik Graf im deutschen Genrekino noch nicht gefunden ist. (Der Tagesspiegel)

Es ist brisantes Material, das Philipp Leinemann da vorlegt. Für die Story hat er sich über Jahre tief in die Materie eingearbeitet, und das merkt man dem Film an. Er ist kein atemlos inszenierter Actioner mit einem unverwundbaren Haudrauf-Helden, im ­Gegenteil: Einmal mehr spielt der physisch sehr präsente Ronald Zehrfeld („Barbara“) einen verletzlichen Charakter. „Das Ende der Wahrheit“ ist ein hochaktueller Politthriller über Nachrichtendienste, Machtinteressen und modernes Söldnertum – und angesichts des Budgets von weniger als zwei Millionen Euro überraschend aufwendig, optisch stimmig in Szene gesetzt. Einzig das schnelle Ende trübt das Gesamtbild etwas. (Cinema)

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Foto: ZDF / Bernd Schuller

Gegenentwurf zum physischen Helden: Alexander Fehling als Leiter des Krisenteams

Wie es sich für einen guten Politthriller gehört, kann der Held irgendwann niemandem mehr trauen, weil sich Kollegen und Vorgesetzte als Handlanger des Bösen entpuppen. Trotzdem bekommt Behrens ausgerechnet in Gestalt des schnöseligen Krisenstableiters Lemke einen unerwarteten Verbündeten. Alexander Fehling versieht diese Rolle eines typischen Karrieristen, für die er 2019 beim Deutschen Filmpreis als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde, gerade im Vergleich zur massigen Präsenz Zehrfelds mit einer eindrucksvollen Körpersprache: Lemke hat so viel Spannung wie ein Gummibaum. Die Geschichte ist dagegen ziemlich kompliziert, zumal Leinemann lange offen lässt, welche Funktion die Figuren ausüben. Die Besetzung schon allein des Behördenpersonals (August Zirner, Axel Prahl, Claudia Michelsen, Walter Kreye) ist allerdings formidabel, und die Bilder sorgen trotz eines Etats, der sich mit rund zwei Millionen Euro auf Höhe eines überdurchschnittlich gut budgetierten Fernsehfilms bewegt, immer wieder für großes Kino: Die Actionszenen können sich sehen lassen.

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Foto: ZDF / Bernd Schuller

Muss sich bei einer PK unangenehmen Fragen stellen: Schilling (Claudia Michelsen)

Das gilt nicht nur für den Anschlag, sondern auch für einen Hinterhalt im fernen Zentralasien (gedreht wurde allerdings auf Gran Canaria), als eine Abordnung des BND, darunter neben Behrens und Lemke auch der Präsident (Zirner), im fernen Zahiristan in einen Hinterhalt gerät. Die im Studio entstandenen Innenaufnahmen taucht Leinemanns bevorzugter Kameramann Christian Stangassinger mal in ein abweisendes kühles Blau, mal in ein ungesund anmutendes Giftgrün. Imposant ist auch ein Blick aufs nächtliche Stadtpanorama, in dem nach dem Anschlag überall Blaulicht flackert. Die See-Einstellungen zur blauen Stunde, die die Klammer des Films bilden, haben Kalenderbildqualität. Handwerklich bewegt sich „Das Ende der Wahrheit“ auf höchstem Niveau, auch der Schnitt (Max Fey) ist nicht nur wegen der spannungssteigernden Parallelmontagen ausgezeichnet. Endgültig zu einem Ausnahmefilm wird der Thriller durch das Ensemble, zumal Leinemann auch für winzige Rollen große Namen gewinnen konnte, allen voran Thomas Thieme als „Planespotter“, der Behrens auf die richtige Spur bringt. Viel besser kann man so einen Film nicht inszenieren.

Trailer zur Kino-Koproduktuin "Das Ende der Wahrheit" von Philipp Leinemann

Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker für Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.

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Das Ende der Wahrheit
ZDF, Arte / Kino-Koproduktion / Politthriller
EA: 3.6.2021, 21.45 Uhr (Arte)
Mit Ronald Zehrfeld, Alexander Fehling, Axel Prahl, Claudia Michelsen, Antje Traue, August Zirner, Katharina Lorenz, Thomas Loibl, Walter Kreye, Urs Rechn, Thomas Thieme
Drehbuch: Philipp Leinemann
Regie: Philipp Leinemann
Kamera: Christian Stangassinger
Szenenbild: Petra Albert
Kostüm: Anna Wübber
Schnitt: Max Fey
Musik: Sebastian Fillenberg
Redaktion: Jörg Schneider (ZDF), Doris Hepp (ZDF/Arte), Andreas Schreitmüller (Arte)
Produktionsfirma: Walker+Worm Film – Tobias Walker, Philipp Worm
Quote: ZDF: 3,85 Mio. Zuschauer (14,3% MA)


Bewertung: 5,5 von 6


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