Philipp Leinemann über seinen Thriller "Das Ende der Wahrheit" - Ein Agent und seine Zweifel am BND (2024)

Philipp Leinemann über seinen Thriller "Das Ende der Wahrheit"

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Moderation: Susanne Burg |

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In "Das Ende der Wahrheit" erzählt Philipp Leinemann, wie ein Agent des Bundesnachrichtendienst seine Freundin bei einem Anschlag verliert - und beginnt, an seinem Arbeitgeber zu zweifeln. Der Blick hinter die Kulissen sei "sehr ernüchternd", sagt er.

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Susanne Burg: Genrekino aus Deutschland – das bietet der Film "Das Ende der Wahrheit", der jetzt im Kino zu sehen ist. Darin nimmt der Regisseur Philipp Leinemann den deutschen Geheimdienst unter die Lupe. Der Film beginnt mit einer Nacht, die Martin Behrens, Experte für Zentralasien beim BND, und eine Journalistin verbringen. Wie sich bei einer Pressekonferenz später herausstellt, ist sie an einer großen Sache dran:

Ausschnitt aus dem Film:
Journalistin: Guten Tag, Herr Dr. Vossmeier. Sagen Sie, ist es zutreffend, dass der Bundesnachrichtendienst den Amerikanern Zielkoordinaten für deren Drohneneinsätze liefert, die ja bekanntermaßen von Rammstein koordiniert werden?
Dr. Vossmeier: Wir pflegen ganz grundsätzlich, die Arbeit unserer Nachrichtendienste nicht zu kommentieren, und ich werde auch in diesem Fall von unserer Gewohnheit keine Abweichung zulassen.
Journalistin: Aber Herr Dr. Vossmeier, stimmt es denn nicht, dass der BND gezielt Asylbewerber aus Krisenregionen verhört, um an Aufenthaltsorte von gesuchten Terrorverdächtigen zu kommen. Kommt das nicht Beihilfe zum Mord gleich?

Idee für den Film schon früh gehabt

Burg: Die Journalistin wird bei einem Terroranschlag in München erschossen. Martin Behrens beginnt dem nachzugehen und gerät in einen Strudel aus Intrigen und Machtmissbrauch. Der Regisseur Philipp Leinemann hat in seinem Debütfilm von 2014 "Wir waren Könige", Korruption und Machtmissbrauch beim SEK thematisiert. Jetzt in "Das Ende der Wahrheit" geht es um, die Machenschaften und Vorgehensweisen des BND im In- und Ausland. Was fasziniert Sie an diesen Themen, an Polizei beziehungsweise Nachrichtendienst?

Philipp Leinemann: Im Grunde genommen geht es mir um diese Behörde, die so nach außen hin ihren Schein wahrt. Es ist natürlich nicht der erste Film, der über diese Thematik – wie bei Könige auch – gedreht wurde. Man bekommt plötzlich einen Zugang zu einer neuen Sichtweise, so wie ich damals über private Kontakte beim SEK einen neuen Einblick in diese Polizeiwelt hatte, war es hier auch so, dass ich die Möglichkeit hatte, mal in eine Welt reinzugucken oder dem Zuschauer eine Welt zu zeigen, die er noch nicht kennt.

Das ist bei beiden die Grundmotivation gewesen. Ich habe letztens ein Treatment gefunden von einer der ersten Fassungen. Das war zu Beginn der Filmhochschule, da ging es eigentlich darum, was so passiert mit diesem Drohnenkriegen. Damals kannte kein Mensch eine Drohne, keiner wusste, dass der Pilot irgendwo in Nevada sitzt.

Burg: Jetzt für den Film "Das Ende der Wahrheit" hatten Sie schon während der Filmhochschule ein Treatment geschrieben.

Leinemann: Im Grunde genommen passierte das fast zeitgleich zu "Könige", dass ich auch daran schrieb, also, dass ich auch immer gerne Filme mache oder mich für Geschichten interessiere, die ich auch gerne gesehen habe als Junge. Ich bin natürlich mit dem amerikanischen Kino großgeworden und mochte schon früher Polizeithriller wie "Heat" oder diese alten Jack-Ryan-Filme oder "Syriana" – dass man einen Einblick bekommt in diese dunkle, abgeschottete Welt. Dann gab es einen Artikel über diese Drohnen, keiner wusste, was das ist.

Wie gesagt, der Pilot sitzt irgendwo in Nevada, das Ding startet in Ostafrika, fliegt rüber nach Zentralasien, das Ganze wird kontrolliert und gesteuert von Rammstein aus in Deutschland. Das ist ein Krieg, der nicht erklärt wird, der heimlich abläuft, wo Menschen schon präventiv umgebracht werden, um gewisse Möglichkeiten eines Terroranschlages zu verhindern. Niemand erklärt jemandem einen Krieg, es ist eigentlich richtig eskaliert unter Obama.

Das war die Grundgeschichte, da dachte ich, ah, interessant, dass Deutschland da so im Mittelpunkt steht, dass der BND auch gezielt Asylantenheime ausfragt. Die hatten eine eigene Befragungsstelle dafür eingerichtet, um an Terrorverdächtige und deren Handydaten ranzukommen, womit eine Drohne sofort die Position lokalisieren kann.

Was machen die mit diesen Informationen? Und so kam das eine zum anderen. Aber im Grunde genommen stand zuerst eine lange, lange Recherchearbeit vor mir. Es passierte einfach. Es ist ganz anders, als wir uns immer vorstellen. Dieser Mythos von Geheimdiensten, deswegen gibt es auch diese unendlich vielen Verschwörungstheorien. Und wenn man das dann alles liest, dann merkt man, das sind eigentlich Arbeitsämter. Es ist leider sehr ernüchternd, dann zu sehen, was da alles schiefgeht und was die können und was die nicht können.

Zimmer eines Verschwörungstheoretikers

Burg: Sie haben auch beschrieben, wie viel Sie recherchiert haben, wie viel Sie gelesen haben. Die große Frage ist ja auch: Was darf eigentlich der BND im Inland, welche Methoden sind legitim, wie darf er vorgehen? Sie haben aber keinen Dokumentarfilm gemacht, sondern einen Spielfilm. Wie haben Sie aus all dem Wissen, das Sie angesammelt haben, eine Geschichte entwickelt, in deren Zentrum ein Analyst steht, der Informationen sammelt für den BND, gespielt von Ronald Zehrfeld.

Leinemann: Als ich "Wir waren Könige" geschrieben habe, sah mein Zimmer selbst aus wie das eines Verschwörungstheoretikers, durch diese vielen Figuren, und dann gab es diesen kleinen Jungen und diese ganzen Fäden. Und das war verängstigend, meine damalige Freundin hat sich kaum in dieses Zimmer getraut. Da habe ich mir geschworen, bei meinem nächsten Film gibt es eine Figur mit einem Ziel – Ronald Zehrfeld löst dieses Rätsel.

Das Problem war, dass eigentlich nur fünf Prozent von allem, was ich recherchiert habe in so einem Stapel von Moleskine-Büchern, die ich mir letztens mal wieder durchgelesen habe, in die Geschichte reinkam. Und trotzdem wirkt es überfrachtet. So viele Themen, die da irgendwie drin sind. Am Ende sah mein Zimmer wieder aus wie das eines Verschwörungstheoretikers, da war wieder ein Riesenballett an Geschichten. Und da den Fokus zu halten, das war das Schwierigste.

Es ist am Ende die Reise einer Figur, die diese Verschwörung dahinter aufdeckt. Es ist nicht nur eine Schelte gegen den BND, im Grunde genommen ist auch der BND, mit dem geschieht etwas, was viele in dieser Organisation gar nicht wollen oder nicht kommen sahen. Das ist übrigens bei vielen Geheimdiensten so. Auch die CIA schüttelt den Kopf über das, was da zum Teil abläuft.

Das größte Problem, die größte Gefahr, die wir gerade im Irak gesehen haben, ist, dass die Privatwirtschaft immer mehr Hoheitsaufgaben übernimmt. Die Privatisierung von Hoheitsaufgaben, und das ist eigentlich das, wovor der Film warnt. Im Grunde genommen wird auch mit dem BND zum Teil etwas gemacht, was viele nicht wissen oder was so hinterrücks kommt. Das ist eine Aussage von einem ehemaligen, ich weiß jetzt nicht mehr, Minister oder Bundespräsidenten, der sagte, was Fehling dann sagt, das ist der neue Lobbyismus, gezahlt wird später. Dass die meisten Beamten während ihrer Zeit schon diese Verträge mit der Privatwirtschaft machen, für Ministerien, später dann nach ihrer Politikerkarriere sich in dem Vorstand wiederfinden für ein sehr lukratives Gehalt – das ist der neue Lobbyismus, gezahlt wird später, das ist die Gefahr.

"Er merkt, an diesem Tod stimmt was nicht"

Burg: In dem Film ist das thematisiert in Form einer ominösen Organisation, die, wie sich dann herauskristallisiert im Laufe des Films, mit dem BND irgendwie oder beziehungsweise mit einer Person im BND Geschäfte macht oder zusammenarbeitet. Mich würde mal diese Figur von Ronald Zehrfeld interessieren, Martin Behrends, dieser Analyst, wie der angelegt ist: Das ist klein klassischer Agent, trotzdem ist es schon eine klassische Figur des Kämpfers gegen das System, auf der Suche nach der Wahrheit, dessen Privatleben und Beziehung darunter leidet. War das auch bewusst so gesetzt, ein bisschen eine klassische Heldenfigur, die es vielleicht auch braucht in dem Genre?

Leinemann: Das ist interessant, weil Sie sagen, er ist kein klassischer Agentenheld oder Spion und gleichzeitig wirkt er klassisch. Im Grunde genommen ist er sehr klassisch für das, was ein eigentlicher BND-Agent ist. Das sind keine mit Waffen hoch spezialisiert ausgerüstete Killer, die wie James Bond alleine durch die Welt laufen, sondern es sind sehr rationale Menschen. Seine Aufgabe ist ganz pragmatisch: Er wertet Lageberichte und Nachrichten aus und legt sie dann seinem Vorgesetzten vor.

Diese Arbeit wurde in den 90ern-Jahren korrumpiert. Die beste Quelle ist eigentlich der Mensch vor Ort, in den diversen Ländern. Dann ein Lagebild erstellen, ein Gefühl kriegen, was ist die gesellschaftliche Situation. Das wurde aber abgezogen, was dazu führte, dass zum Beispiel die Zeit kam, dass sich Anfang 2002, 2003, dann auch die Amerikaner nach dem 11. September breitmachten. Sie wussten überhaupt nichts mehr über den Nahen Osten. Die haben gesagt, fuck, wir haben alles abgezogen, wir haben uns so auf die digitale Satellitentechnik verlassen, dass, wie der eine sagte, der Nahe Osten ein weißer Fleck auf Landkarte ist.

Er ist dieser Agent der alten Schule, der noch sehr daran glaubt. Während Alexander Fehling diese neue Generation von Agent verkörpert. Und ja, natürlich ist er klassisch im Sinne von: Er will die Wahrheit herausfinden. Das ist das, warum wir Deutschen auch Krimis lieben. Zwei Kommissare gehen in einen Raum und stellen ganz viele Fragen. Wir wollen wissen, was steckt wirklich dahinter. Ein Rätsel lösen. Deswegen funktionieren Verschwörungstheorien auch schon seit dem Mittelalter so gut, ich weiß da etwas, was du nicht weißt. Dieses Rätsel zu lösen, ist das, was narrativ ist.

Die Schwierigkeit war die Motivation. Warum hat er das alles riskiert, wie Sie sagen, die Familie, seinen Job und so. Wofür eigentlich? Einmal merkt er, es ist nicht mehr das, wofür er mal angetreten ist. Es gab einen neuen Kontext, das kam durch die Figur von Antje Traue. Es war mal ein Freund vom MAD, Militärischer Abschirmdienst, der umkam, der eigentlich herausbekommen hat, dass es illegale Waffengeschäfte gibt. Und jetzt war eine Journalistin, die seine Hilfe brauchte, umgebracht worden, und er merkt, an diesem Tod stimmt was nicht.

Was auch interessant ist, dass wir zu der Zeit, als ich dieses Buch schrieb, es gab schon damals einen Terrorangriff in München, es gab den Mord an dieser Journalistin. Das war alles noch so, glaubt man das, das ist doch in Deutschland. Und das Erschreckende ist, dass es gegen Ende der Produktion diese Fragen nicht mehr gab, weil das alles passiert ist. Wir hatten vor Kurzem wieder einen Anschlag, einen Bombenanschlag auf eine Journalistin in Malta, die zu tief gebuddelt hat, wir hatten das am Breitscheidplatz – das verschwand dann. Am Ende ist es vielleicht gut, weil der Film dadurch eine Aktualität bekommt.

Nicht daran orientieren, was am erfolgreichsten ist

Burg: Und trotzdem folgt der Film selbst auch einer Tradition an Genrefilmen, die es in dem Bereich gibt. Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie damit aufgewachsen sind. Wie groß war der Einfluss von US-amerikanischen Genres, die bis zur Jetztzeit gehen à la "Homeland"?

Leinemann: Die letzten Filme oder Arbeiten habe ich oft gar nicht mehr gesehen. Aber diese klassischen Jack-Ryan-Filme haben sicherlich ihren Einfluss hinterlassen. Das Interessante ist, das merkt man oft erst im Nachhinein. Ich habe letztens mal wieder nachts einen Film gesehen, da dachte ich, ah, interessant. Aber, so sagte Spielberg, ging es ihm auch mal, weil er irgendwann auch merkte, wie viel er von Hitchcock irgendwie unbewusst geklaut hat. Man wächst mit diesen Filmen auf und irgendwie schwingt es in einem mit. Man merkt gar nicht, wie man das unbewusst als Inspiration mitnimmt. Das ist ein großer Anteil, was die Motivation oder die Lust an solchen Filmen für mich als Geschichtenerzähler ist. Das stimmt schon.

Burg: Wie gehen Sie damit um, weil Sie sind doch im deutschen Kontext, müssen mit deutschen Mitteln arbeiten. Ddieses Genre ist in Deutschland einfach nicht so etabliert.

Leinemann: Ja, ich wehre mich so lange wie möglich gegen diese Schere im Kopf. Es fing sehr früh damit an, wie Sie sagen, dass man an der Filmhochschule und dann mit den ersten Gesprächen mit Redakteuren eingetrichtert bekommen hat, wir sind in Deutschland, du musst eine deutsche Perspektive erzählen, mit deutschen Figuren. Natürlich erzähle ich eine Geschichte des BND, die großen Geschichten sind eher bei der CIA zu finden – oder beim Mossad.

Aber dann gibt es keine Chance. Es ist auch irrwitzig, in Deutschland einen Film über einen CIA-Agenten zu machen. Jetzt war ich mal lange in Los Angeles, haben sie gefragt, könntest du diesen Film auch international vorstellen, mit einem CIA-Agenten. Ich sag, na ja, das erste Treatment war eines mit einem CIA-Agenten. Welches Genre hier funktioniert, welches nicht, wenn ich danach gehe, welche Bücher ich schreibe, ich glaube, dann habe ich die Motivation verloren, warum ich diesen Job oder diesen Beruf mal machen wollte. Ich versuche noch nicht, irgendwie so einen Film zu machen, der nach irgendwelchen Mustern abläuft, was am erfolgreichsten ist.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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